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Ist ADHS heutzutage eine Volkskrankheit?
Wer heute Kinder im Vorschul- oder Schulalter hat, der hat die Begriffe ADS und ADHS mit Sicherheit schon irgendwo einmal gehört. Oft fällt einer der beiden Begriffe als laienhafte Diagnose, wenn Kinder unruhig oder unaufmerksam sind. Das "Problem" hat somit einen Namen.
Was genau sich hinter ADS und ADHS verbirgt und was den Unterschied ausmacht, erfährst du im nachfolgenden Beitrag.
Bitte beachte: Dieser Artikel dient der Information. Er ersetzt jedoch keine individuelle Beratung oder Untersuchung durch den Kinderarzt.
Während ADHS ein in der Gesellschaft weitverbreitetes Phänomen scheint, mit dem nahezu jeder auf welche Art auch immer schon mal in Berührung gekommen ist, scheint ADS noch immer weniger bekannt. Nicht selten werden beide Begriffe laienhaft auch synonym füreinander verwendet. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied:
In den meisten Fällen sind von ADS betroffene Kinder hypo- und damit unteraktiv. Sie sind ruhig, verträumt, können dem Schulunterricht nur schwer folgen.
Im Vergleich zum ADS sind die betroffenen Kinder nicht hypo-, sondern hyperaktiv, also überaktiv. Die Betroffenen haben somit einen überaktiven Bewegungsdrang bei gleichzeitig gestörter Konzentrationsfähigkeit und einer vorliegenden Impulsivität.
Deutschlandweit leiden circa 3 bis 4 Prozent aller Kinder an einer ADS. Auffällig ist, dass Jungs circa 5 Mal häufiger betroffen sind als Mädchen. ADHS kommt im Vorschulalter bei circa 2,9 Prozent der Kinder vor, während Jugendliche mit einer Quote von circa 7,9 % betroffen sind. Auch diese Diagnose wird unter Jungen deutlich häufiger vergeben. Demnach leiden Jungs zwei- bis viermal häufiger am Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom als Mädchen.
Im Vergleich zum ADS ist ADHS durch drei relevante Kernsymptome gekennzeichnet. Hierzu zählen:
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht alle Hauptsymptome in gleicher Ausprägung vorliegen müssen. Die Symptomatik kann sich auch individuell manifestieren.
Die Ursachen für ADS und ADHS sind bislang nicht eindeutig geklärt. Es wird davon ausgegangenen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher, genetischer Einflussfaktoren eine zentrale Rolle spielen.
So ist es beispielsweise möglich, dass Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen mit äußeren Umweltfaktoren, Abweichungen der neuronalen Regelkreise während der Entwicklungen und weitere Einflüsse zusammenspielen. Mittlerweile konnte bereits nachgewiesen werden, dass eine Veränderung des Neurotransmittersystems bei Kindern mit ADHS vorliegt. Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn können beispielsweise die Aufmerksamkeit und Konzentration einschränken, während die Selbstregulation gestört ist. Gleichzeitig behindern verschiedene Störungen den Zugriff auf Informationen und Fähigkeiten.
Zahlreiche Studien konnten bereits belegen, dass erbliche Faktoren bei der Entwicklung von ADHS und ADS eine wichtige Rolle spielen. Bei Zwillingsstudien hatten circa 80 % der eineiigen Zwillinge die gleiche Symptomatik. Unter den zweieiigen Zwillingen lag die Gleichheit der Symptome bei etwa 30 %. Innerhalb diverser molekulargenetischer Studien konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, dass es typische Veränderungen in einzelnen Regionen des menschlichen Erbguts gibt, wenn diese von ADS oder ADHS betroffen sind.
Zu den weiteren Ursachen zählen Belastungen oder Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt. So erhöhen unter anderem Nikotin, Alkohol oder andere Drogen während der Schwangerschaft das Risiko für das Kind. Infektionen oder Verletzungen können ebenfalls das Risiko erhöhen. Auch psychosoziale Einflüsse dürfen nicht vernachlässigt werden.
Zu den Risikofaktoren aus dem psychosozialen Bereich zählen:
Wer bei sich oder seinem Kind eine Aufmerksamkeits-Defizit-Störung oder eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung vermutet, sollte im ersten Schritt den behandelnden Kinderarzt aufsuchen und dort die vorliegenden Probleme ansprechen. In aller Regel überweist der Kinderarzt das betroffene Kind bei einem Verdacht an entsprechende Fachstellen weiter. Zu den fachlichen Anlaufstellen zählen beispielsweise Sozialpädiatrische Zentren (SPZ).
Da es bislang keine labortechnischen Verfahren oder spezifischen Tests zur Diagnostik gibt, ist es oftmals sehr schwierig, eine eindeutige Diagnose zu stellen. Im Voraus werden deshalb oftmals Ausschlussdiagnoseverfahren durchgeführt. Im Allgemeinen ist für die Diagnostik jedoch Geduld erforderlich. Zu berücksichtigen ist, dass die Symptomatik in beiden Fällen ausgesprochen variabel ist, sodass einige Kinder beispielsweise nur leichte Auffälligkeiten haben, während andere mit deutlichen Einschränkungen in allen Lebensbereichen leben.
Eine Diagnose wird in der Regel nur dann gestellt, wenn deutliche Normabweichungen im Verhalten vorliegen, die sich nicht nur auf einen Lebensbereich auswirken. Darüber hinaus müssen die jeweiligen Probleme seit mindestens sechs Monaten bestehen.
Aufgrund der kindlichen Entwicklung ist es schwierig, Diagnosen fachgerecht und frühzeitig zu stellen. Wenngleich Symptome bereits im Kleinkind- und Vorschulalter ausgeprägt auftreten können, empfiehlt sich eine Diagnostik frühestens im Alter von 6 Jahren. Sollten im Voraus stark belastenden Konstellationen vorliegen, kann der Arzt auch ohne eindeutige Diagnose entlastende Maßnahmen schaffen.
Die moderne Medizin kennt mittlerweile verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und Ansätze sowie Therapien, die bei vorliegendem ADS oder ADHS helfen.
Abhängig von der Ausprägung kann die medikamentöse Behandlung ein wichtiger Baustein für den späteren Therapieerfolg sein. Vor allem eine früh einsetzende Hyperaktivität lässt sich mithilfe verschiedener Medikamente, wie zum Beispiel Medikinet oder Ritalin mit dem Wirkstoff Methylphenidat, behandeln. In einigen Fällen ist die medikamentöse Behandlung unerlässlich, da anderenfalls aufgrund der Symptomatik weiterführende Therapieformen nicht durchführbar sind.
Das jeweilige Behandlungskonzept greift in aller Regel an unterschiedlichen Punkten gezielt ein. So ist es wichtig, auch das Umfeld des betroffenen Kindes in die Behandlung einzubeziehen. Hierfür gibt es beispielsweise verschiedene Elterntrainings, aber auch hilfreiche Maßnahmen für die Schulumgebung. Ferner werden gemeinsam mit dem Kind diverse Verhaltensweisen eingeübt, die dabei helfen, die jeweiligen Symptome besser zu kontrollieren. Dabei wird das Selbstmanagement effektiv gestärkt. Unter Umständen sind auch Psychotherapien wichtige Hilfsmittel, um Problemlösungsstrategien zu erarbeiten.
Ergänzende Therapieformen sind beispielsweise die Ergotherapie, in der die motorische und psychische Entwicklung des Kindes gefördert und gestärkt wird. Lerntherapien helfen bei Teilleistungs- oder Lernstörungen, sowie bei einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder einer vorliegenden Dyskalkulie. Abschließend kann auch eine Logopädie für die Betroffenen sinnvoll sein.
Eine beliebte Methode zum Training der Aufmerksamkeit ist außerdem das Neurofeedback, das häufig von Ergotherapiepraxen angeboten wird. Es basiert auf einer Visualisierung der Hirnaktivität mit dem Ziel, diese bewusst zu beeinflussen. Der Patient verfolgt am Bildschirm eine virtuelle Animation oder einen Film und erhält entsprechend seiner Hirnaktivität ein Feedback.
Welche Behandlungsansätze und Therapien infrage kommen, wird gemeinsam mit dem behandelnden Facharzt und ggf. mit dem beauftragten sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) besprochen. Dabei wird ein umfassendes Therapiekonzept entwickelt, das als langfristige Hilfsmaßnahme dient.
ADS und ADHS betrifft im Allgemeinen nicht nur Kinder, sondern ebenso Erwachsene. Eine ausgeprägte Symptomatik kann sich auf alle Lebensbereiche auswirken. Zu erwähnen seien das Berufsleben, der Alltag, Haushalt, die Partnerschaft und Familie, Freundschaften und das Selbstmanagement.
Bedauerlich ist, dass viele Erwachsene ihre Diagnose erst sehr spät - meist im Zuge einer anderen psychischen Erkrankung - gestellt bekommen. Oftmals haben sie sich ihr Leben lang irgendwie durchgekämpft. Im Erwachsenenalter ist eine Behandlung durch eine geeignete Psychotherapie, aber auch durch eine medikamentöse Einstellung und durch das sogenannte Neurofeedback möglich. Beim Neurofeedback handelt es sich um eine computergestützte Methode, mit der sich die Selbststeuerung und Aufmerksamkeit trainieren lassen.
Für Eltern betroffener Kinder kann die Symptomatik eine Zerreißprobe sein. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig Hilfe zu holen und verschiedene Tipps und Ratschläge anzunehmen, mit denen sich das Zusammenleben besser gestalten lässt.